Dass Kinder zu schnell groß werden muss ich wohl niemandem mehr erzählen. Ist einfach so. Kaum sind sie geboren, machen sie die ersten Schritte, hinein in den Kindergarten, kommen in die Schule und stehen von einer Sekunde auf die nächste auch schon auf eigenen Beinen. Im alltäglichen Trubel wird es einem weniger bewusst, eher rückblickend, wenn man mal einen der wenigen Momente der Ruhe erwischt. Dann reflektiert man, denkt nach und fragt sich, wo die letzten Wochen, Monate und Jahre geblieben sind. Wer kann mir bitte mal erklären, wie es möglich ist, dass mein kleines Baby, das mich zur Mama machte, bald schon seinen fünften Geburtstag feiert? Ich schaue ihn an, sortiere die schon wieder viel zu schnell zu klein gewordene Kleidung aus, betrachte wieder ihn und seine langen Beine, Arme und das zarte, feine Gesicht, in dem keine Spur von Baby mehr zu erkennen ist. Schon so groß und irgendwie „erwachsen“, wie ein Teenager im Mini-Format. Erwachsen aus dem Kleinkindalter, hinein in die nächste spannende Phase. Kaum ist man mit der letzten vertraut geworden. Und ja, tatsächlich kommt er mir im Moment manchmal schon wie ein Teenie vor. Einer, der mitten drin steckt in der Pubertät, mit der ich irgendwann mal gerechnet habe. Noch ganz weit weg. Aber ganz sicher nicht bereits jetzt mit knapp fünf Jahren.
Aber es gibt sie tatsächlich, die „Kleine Pubertät“. Und sie trifft Kinder im Vorschulalter, meist zwischen dem fünften und sechsten Lebensjahr, in dem die Kinder enorme Entwicklungsschritte machen. Immer selbstständiger werden, Dinge in Frage stellen, nicht selten auch die Autorität der Eltern, ihre Grenzen testen und aufmüpfig sind, trotzig und stur und im nächsten Moment wieder sensibel, verletzlich und aufgelöst. In diesem Alter hat es weniger mit den Hormonen zu tun, die in der späteren Pubertät für die Gefühlsschwankungen verantwortlich sind. Dennoch lassen sie einen als Eltern manchmal nicht weniger ratlos zurück. Und ich als Mama frage mich, was mich da wohl erst in ein paar Jahren erwartet, wenn mein Kind sich jetzt schon so verhält, wie ein Teenie.
Was tun, wenn mein Kind sich verschließt und nicht über seine Gefühle sprechen möchte?
Umso wichtiger ist es mir, ihm das Gefühl zu geben, dass ich ihn verstehe. Oder es zumindest immer versuchen möchte. Manchmal fällt es mir gar nicht so leicht. Etwa, wenn er sich wieder einmal völlig verschließt und in Ruhe gelassen werden möchte. So wie ganz aktuell bei der folgenden Spielplatzsituation. Wir waren spazieren und Mika-Flynn wollte anschließend noch auf den Spielplatz. Aus der Ferne konnte er ihn schon sehen und rannte los, während wir Erwachsenen langsam hinterher gingen. Nur zwei Minuten später, wir kamen am Spielplatz an, rannte ein völlig aufgelöster Mika-Flynn an uns vorbei, direkt zum Auto. Den Tränen nahe und mit traurigem Blick. Auf unsere Frage, was denn auf einmal los ist: „Ich mag nicht mehr auf den Spielplatz. Lass uns nach Hause fahren.“ Dabei konnte er es doch kaum erwarten und hatte sich so gefreut. Was war nur passiert? Mit einem riesigen Klos im Hals und nicht weniger aufgelöst, weil ich mein Kind nur selten so erlebe, versuchte ich, mit ihm zu sprechen. Aber er blockte komplett ab. „Mama, es ist nichts! Lass uns jetzt fahren!“ Nicht einmal, als ich ein Stück mit ihm spazieren ging, um ihn zu beruhigen, mit ihm zu reden, wollte er mir erzählen, was gerade passiert ist. Die Situation machte mich unglaublich traurig. Sein Kind so aufgelöst zu sehen und zu erleben, ihm einfach nur helfen zu wollen, es aber nicht zu können, weil es einen nicht lässt. Was tut man da als Mutter? Außer zu reden, in den Arm zu nehmen? Es irgendwann noch einmal zu versuchen, aber immer noch nicht zu erfahren, was denn nur geschehen ist, das ihn so verletzt und aufgewühlt hat? Es macht mir immer noch Angst, denn nichts fürchte ich mehr, als dass sich mein Kind vor mir verschließt, vor den Personen, denen er am meisten vertrauen kann und soll. Zu denen er immer kommen kann, wenn ihn etwas bedrückt oder besorgt.
Nicht nur diese Situation erinnert einen doch sehr an so manche Zeit in der Pubertät. In der man seinen Eltern bloß nichts erzählen mag. Und sich angegriffen fühlt, sobald sie auch nur wagen, zu fragen, was denn los ist. Egal wie vorsichtig man sich heran tastet, auf taube Ohren und Wut stößt.
Wütend, trotzig und laut, ja fast aufmüpfig. „Lass mich in Ruhe, Mama! Raus aus meinem Zimmer. Du darfst hier nicht rein.“ Ja, auch das musste ich mir schon anhören. Mein kleiner Mann, der sich zurück zieht, weil er nicht gestört werden möchte. Sein eigenes Ding machen will. Was veranlasst ihn dazu, so zu reagieren? Wenn er keine Stunde später zu mir kommt, um zu fragen, ob ich mit ihm spielen möchte?
Sich etwas sagen lassen oder auf einen hören – wieso sollte man. Und wenn ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass er gerade seinen kleinen Bruder geschubst hat, erzählt er mir frech grinsend, dass er nichts gemacht hat. Raufen, zanken, schubsen, wüten – werden so nicht zuzuordnende Gefühle ausgelebt und kompensiert? Machtkämpfe gespielt und gezeigt, wer hier aktuell der Boss sein möchte? Wie sehen die dann erst in zehn Jahren aus?
Bitte ich ihn, die Schuhe vor die Tür zu stellen, nachdem er sie in der Wohnung ausgezogen hat, darf ich mir anhören: „Mama, ich bin doch nicht dein Diener!“ Huch? Woher er das hat? Ich habe keine Ahnung. Im Kindergarten muss er sich auch an bestimmte Regeln halten. Lässt er dann zu Hause das raus, was er dort nicht darf?
Mir liegt es am Herzen, meinen Kindern bestimmte Werte zu vermitteln. Einen respektvollen und liebenswerten Umgang miteinander vorzuleben. Bei dem jeder seine Aufgaben hat. Dass Trotzphasen ganz normal sind und dazu gehören, ist aber auch mir bewusst. Nur bis zu welchem Maße und wie gehe ich richtig damit um? Manchmal reicht alles Erklären und Reden nichts. Alles nur eine Phase?
Was mich richtig wütend macht? Nicht auf mein Kind, sondern auch die immer noch veralteten Denkmuster? Sprüche, wie „Mama, ich bin doch schon ein großer Junge. Und Jungs weinen nicht.“ oder „Ich bin doch kein Mädchen.“ Denn das sind eindeutig Dinge, die er von anderen aufgeschnappt oder gar eingetrichtert bekommen hat. Zu Hause versuche ich alles, um weg zu kommen, von diesem Genderding. Leider bin ich nicht dabei, wenn im Kindergarten andere Kinder (hoffentlich keine der Erzieher) so reden und sich verhalten. Und auch wenn man nicht alles von seinen Kindern fernhalten kann oder rund um die Uhr mitbekommt, mit wem sie spielen, sprechen oder von wem sie sich bestimmte Sprüche oder Verhaltensweisen abschauen, beunruhigt mich so etwas enorm. Denn es macht mir genau eben das deutlich: Ich kann nicht immer Einfluss nehmen oder gar alles Negative abhalten. Sobald der Abnabelungsprozess begonnen hat, je selbstständiger das Kind wird, sich seine eigenen Freunde aussucht, sein Ding macht, umso weniger kann ich bestimmte Dinge verhindern. Was ich dennoch kann und sicher nicht müde werde zu tun, ist reden, reden, reden und erklären. Vorleben, wie es richtig geht. Wie unsinnig es ist, zu behaupten, dass Jungs nicht genauso weinen dürfen, wie Mädchen. Dass jeder seine Emotionen zeigen darf und muss, es immer rauslassen kann. Wie wichtig es ist, über alles zu sprechen, was einen bedrückt und beschäftigt. Denn ich bin mir sicher, dass versteht auch schon mein kleiner bald 5-Jähriger sehr genau.
„Ich nehme dir die Steine vom Herzen, damit du wieder glücklich sein kannst! Ich bin deine Mama. Es ist meine Aufgabe, dir deine Sorgen zu nehmen. Ich bin für dich da. Egal, was passiert. Und ich möchte, dass du wieder lachen kannst.“ Das habe ich ihm an diesem Abend gesagt, als er mir partout nicht erzählen wollte, was auf dem Spielplatz geschehen ist. Dabei musste ich selbst mit den Tränen kämpfen. Ich habe ihn ganz feste in den Arm genommen und ihm gesagt, wie lieb ich ihn habe. Von Trotz, Wut oder Zorn war nichts mehr zu spüren oder gar zu sehen in seinen Augen. Und ganz langsam vertraute er sich mir zumindest in Bruchstücken an.
Aber dieses Gefühl, dass sich mein Kind von mir entfernt und diese Angst, dass ich nichts dagegen tun kann, wenn es sich mir nicht anvertrauen möchte, war an diesem Tag so stark, wie nie zuvor. Situationen, in denen man sein Kind kaum wieder erkennt. Im einen Moment war es noch glücklich und ausgelassen, im nächsten zu Tode betrübt und völlig aufgelöst und verletzlich.
Gemeinsam nach Lösungen suchen, annehmen, auffangen, trösten, wenn das Kind einen lässt. Und ihm somit zeigen, dass es immer Schutz und Trost bei einem findet, egal, was passiert. Und auch wenn es schwer fällt, akzeptieren, wenn es mal keine Lust hat, zu reden. „Mama, ich habe heute schlechte Laune. Heute ist wohl nicht mein Tag.“ Umso wahrscheinlicher ist es, dass es dann von ganz alleine auf einen zukommt und erzählt, was das Herz gerade bedrückt.
Kennt ihr diese Phasen bei euren Kids ebenfalls? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
3 Comments
Du schreibst so schön und ich finde es so schön, dass ich euch als Familie schön so lang hier in diesem Internet begleiten darf. Du beschreibst das alles so ehrlich und schön. Ich hoffe ihr werdet die „kleine Pubertät“ gut überstehen <3
Ich freue mich wirklich sehr über deine Worte. Hab vielen, vielen Dank, du Liebe <3 Wie schön, dass du schon so lange dabei bist. 🙂
Liebe Nathalie,
auch ich „begleite“ dich schon seit (damals noch kinderloser auf deiner wie auch meiner Seite 😉 Zeit… Immer wieder wunderschöne Texte direkt aus dem Herzen ins Herz hinein! Und gerade auch sowas von aktuell bei uns – das Mini-Pubertier hat uns voll im Biss, ähm Griff :)))) Zornig, wutig, unergründlich traurig und verschlossen – so kannten wir unsere Maus bisher auch gar nicht. Und dann wird wieder fast durch uns hindurch gekuschelt… Da verfolgt man als Eltern tatsächlich mitunter ratlos so manches „Schauspiel“ auf der Zuschauerseite und das Drehbuch schrieb scheinbar ein Fremder – es wird eben nie langweilig – und mit deinem Blog als Begleiter immer wieder überraschend! Danke!!!