Warum urteilen wir über andere Menschen? Am besten noch über die, die wir gar nicht persönlich kennen? Menschen, die wir auf der Straße sehen, Nachbarn, Fremde, Leute im Fernsehen oder im Internet? Was treibt jemanden an, die Eigenschaften einer Person zu kritisieren und sich vielleicht sogar noch darüber lustig zu machen? Ihr Dinge zu unterstellen, sie zu verurteilen und in eine Schublade zu stecken?
Ich gebe es zu, auch ich habe dies in der Vergangenheit sicher schon öfter getan, mich dazu hinreißen lassen, jemanden nach beliebigen Kriterien zu bewerten. Es passiert manchmal automatisch und nicht immer kann man unbedingt etwas dafür. Was aber falsch ist: Sich in diesen negativen Gedanken zu verlieren. Sich hinein zu steigern und daran regelrecht aufzugeilen, am Anderssein der jeweiligen Person. Nur weil sie nicht so ist, so denkt, so handelt, so lebt, wie man selbst. Jeder Mensch tut vermutlich das, was er für richtig hält. So wie er im Laufe seines Lebens aufgewachsen ist, geprägt wurde, Dinge gelernt und beigebracht bekommen hat. Niemand ist perfekt und allwissend. Wir alle haben unsere Fehler und Macken. Nur warum führen wir uns das nicht vor Augen, wenn wir andere Menschen verurteilen? Warum denken wir uns nicht einfach: Lass diesen Menschen so sein, wie er ist. Lebe so, wie du es selbst für richtig hältst und konzentriere dich auf dein Leben.
Warum gibt es so viele Sendungen im Fernsehen, die sich darüber definieren, dass sich über die darin vorkommenden Personen öffentlich lustig gemacht wird? Ein zur Schau stellen von Menschen, die vielleicht nicht so klug, hübsch, gebildet, reich und sozial gut gestellt sind, als die Menschen, die diesen Schrott vom Sofa aus konsumieren. Denen gar nicht bewusst ist, was passiert, wenn sie sich bei dem filmen lassen, was für sie „normal“ ist. Und wer definiert das schon? Was normal ist und was nicht? Tja, es ist einfach, die vermeintlichen Schwächen, Defizite und negativen Eigenschaften bei anderen Menschen zu suchen und sich daran aufzugeilen und darüber zu lachen. Menschen tun es deshalb, damit sie sich selbst besser fühlen und ihre eigenen Baustellen verdrängen können, anstatt sich mit sich selbst zu beschäftigen. Oder damit sie sich einer bestimmten Gruppe zugehörig fühlen, in die die verurteilte Person nie passen würde. Weil sie ja alles falsch oder vollkommen anders macht, als man selbst. „Uhhh, wie kann man so sein? Leben? Hausen? Sich verhalten? Seine Kinder erziehen oder nicht erziehen? Aussehen?“ Anstatt einfach bei sich zu bleiben und zu hinterfragen, ob denn alles, was man selbst macht, richtig ist und welche Umstände und Ursachen dazu geführt haben, dass andere Menschen eben so sind, wie sie sind. Egal aus welcher Schicht sie kommen und wo sie leben.
Ein Satz, der mich nachdenklich gemacht hat, war der von Yannick: „Wenn du nicht möchtest, dass andere dich und das, was du tust, bewerten, dann ist das Bloggen wohl nicht das richtige für dich.“ Und ich dachte mir nur: Nein, wieso? Wieso sollte ich mich und mein Leben denn nicht so nach außen präsentieren, wie ich es für richtig halte und ein gutes Gefühl dabei habe? Wieso sollte ich überhaupt Angst haben müssen, dass da irgendwelche Menschen nichts Besseres zu tun haben, als sich darüber auszulassen und zu kommentieren, was ich wie mache und wie es ihnen eben nicht passt? Wem gibt es denn das Recht, das sofort zu bewerten und zu verurteilen? Denn jeder, dem es nicht gefällt, der verschwendet doch viel weniger Energie, indem er es einfach gut sein lässt und sich denkt: Passt mir nicht, aber gut – jeder so, wie es ihm gefällt und so, wie er es für richtig hält.
Denn ja, es ist nichts anderes als ein Energiefresser, negativ und zeitraubend, wenn man sich über andere Menschen mehr Gedanken macht, als über sich selbst. Egal ob öffentlich auf der Straße, in der Nachbarschaft, bei Bekannten oder online und im Fernsehen. Wenn man alles sofort bewertet und Menschen verurteilt oder sofort in Schubladen steckt. Warum denn nicht einmal anders an das Ganze herangehen? Und sich überlegen, warum ein Mensch so ist, wie er ist, lebt und handelt. Mitgefühl und Unterscheidungsfähigkeit dafür aufbringen.
Ich habe mich viel damit beschäftigt, versuche mich immer mehr zu distanzieren vom Verurteilen und Schubladendenken. Und jedes Mal, wenn es doch mal wieder passiert, hinterfrage ich die Situation und reflektiere mein Denken. Frage mich, was mir das Recht gibt, überhaupt erst so gedacht zu haben.
Ich hatte mehrere Aha-Momente. Situationen, in denen ich tatsächlich vorschnell geurteilt habe und zunächst kein Verständnis für das Handeln bestimmter Personen hatte. Da war die italienische Mutter, die ihr kleines Baby auf der Parkbank Youtube-Videos schauen und mich zunächst innerlich mit dem Kopf schütteln ließ. Wir saßen daneben und aßen unser Eis und Mika-Flynn interessierte sich dann auch innerhalb kürzester Zeit für das Handy. Die Mama des Babys war aber so freundlich und betonte mehrmals, dass es doch in Ordnung wäre, wenn er sich eng neben sie setzt, um mitzugucken. Als sie gingen, verabschiedete sie sich und lächelte. Und ich dachte mir: Ja, es ist vielleicht für mich nicht ok, seinem Baby Youtube-Videos zu zeigen, aber für sie nun mal schon. Das tut aber ihrer Herzlichkeit sicher keinen Abbruch. Und ich kann es ja schließlich anders machen.
Und was schüttelte ich zuerst über die älteren Nachbarn den Kopf, die bei jeder Gelegenheit auf den Balkon liefen, um zu gucken, was in der Straße so passiert. Da musste es nur etwas lauter sein und es wurde geguckt. Haben wohl nichts Besseres zu tun und zu viel Langeweile, dachte ich mir zuerst. Die selben Nachbarn waren es aber auch, die unsere Jungs dann kurze Zeit später zum Spielen auf ihren Hof einluden, weil ihre Enkelkinder gerade zu Besuch waren. Und ich merkte, dass ich wieder mal zu schnell geurteilt hatte, denn eigentlich waren die Nachbarn ja doch ganz freundlich und kinderlieb. Dann lass sie doch hin und wieder auf dem Balkon stehen und neugierig sein. Immerhin müssen wir uns bei so viel Aufmerksamkeit dann nicht um Einbrecher in der Straße sorgen. 😉
Lasst uns doch bitte alle an uns selbst arbeiten, bevor wir zu schnell urteilen und verurteilen. Lasst uns offener sein für Menschen, die anders sind und leben, als wir selbst, anstatt uns das Maul über sie zu zerreißen. Jeder hat seine Gründe, jeder macht es so, wie es sich für ihn richtig anfühlt. Für mehr Akzeptanz, Toleranz und das Kehren vor der eigenen Haustür. Für weniger unnütz verschwendete Energie in Lästereien und Schubladendenken. Für mehr Freundlichkeit und Offenheit, auch für Menschen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zu uns passen.
2 Comments
Liebe Nathalie,
was für ein schöner Gedankenanstoß. Danke dafür! Vielleicht könntest du die Formulierung „Jedem das Seine“ umändern, da sie durch die Zeit des Nationalsozialismus (definitiv für mich) einen bitteren Beigeschmack hat.
Liebe Grüße
Liebe Sophie, danke für deine Worte. Und dass mit der Formulierung wusste ich nicht. Für mich war es ein normaler Spruch, den geschichtlichen Hintergrund kannte ich tatsächlich nicht. Aber du hast recht, so möchte ich es dann auch nicht stehen lassen und ändere es auf jeden Fall.
Liebe Grüße