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Thoughts: Ein Morgen, wie so viele andere und die Frage: Ist es das wert? – Warum wir uns trotz Stress und Hektik Zeit für das nehmen müssen, was wirklich wichtig ist

16. Januar 2019

Es ist ein Morgen, wie so viele andere. Für die Kinder wird es gleich in den Kindergarten gehen, Yannick macht sich fertig für die Arbeit. Wie an so vielen Morgen sind wir alle etwas spät dran. Es ist noch dunkel draußen, kalt und ungemütlich. So viel schöner und kuscheliger ist es im warmen Bett. Taavi schläft noch und schmiegt sich an mich, ihm fällt es gerade auch sehr schwer, morgens wach zu werden. Auch ich habe schon mehrmals auf die Schlummer-Taste meines Handy-Weckers gedrückt, weil ich nicht aufstehen möchte. Viel lieber würde ich hier liegen bleiben, kuschelnd, und die wohlige Nähe und Wärme meines Kindes neben mir genießen. Yannick kommt herein, macht das Licht an und versucht, uns beide zu wecken. Es nützt ja nichts. Nur widerwillig bewege ich mich aus dem Bett, reibe mir verschlafen die Augen und mache mich auf den Weg ins Kinderzimmer. Suche Kleidung für die Jungs heraus, die sie heute anziehen sollen. Mika-Flynn ist schon wach, ihm fällt es nicht so schwer, morgens aufzuwachen und er ist meistens der erste von uns, der in den Tag startet. Er hat schon sein Müsli gefrühstückt und leistet nun Yannick im Badezimmer Gesellschaft. Statt sich schonmal anzuziehen, damit es gleich schneller geht, wenn sie gemeinsam zum Kindergarten fahren wollen, spielt er lieber und hört dabei Musik. Ja, er vertrödelt morgens gerne die Zeit, egal, wie oft wir ihn darum bitten, sich etwas zu beeilen. Ich eile nach unten in die Küche und mache den Jungs ihr Vesper. Dabei höre ich nur, wie Yannick nun etwas energischer zu Mika-Flynn sagt, dass er sich nun endlich anziehen soll. Er wollte schließlich pünktlich um 8 Uhr mit den Jungs im Kindergarten sein, um es rechtzeitig zur Arbeit zu schaffen. Die letzten Tage ist es grundsätzlich später geworden. Zeit, die ihm morgens fehlt und die er abends dafür länger arbeiten muss. Was nicht nur für ihn ärgerlich ist, sondern auch für uns als Familie, weil unter der Woche jede gemeinsame Minute wichtig für uns ist.

Ich höre, wie nun auch Taavi aufgestanden ist. Natürlich möchte er auch noch etwas frühstücken. Es ist jetzt viertel vor acht und eigentlich wäre Yannick nun gerne losgefahren. Ich bringe ihm sein Müsli an den Esstisch, husche in den Flur und suche dort die Jacken und Schuhe zusammen, damit sie sie gleich anziehen können. Das Vesper kommt in die Rucksäcke. Habe ich an alles gedacht und nichts vergessen? „Mika-Flynn, du musst noch deine Zähne putzen! Warum bist du denn immer noch nicht angezogen?!“ Die Trödelei führt er auch fort, nachdem der Ton nun etwas lauter geworden ist und scheint dabei die Ruhe weg zu haben. Als Taavi dann auch aufgegessen hat, macht er es ähnlich. „Nein, is will keine Strumpfhose anziehen!“ Es wird gemeckert und gemotzt und die Minuten streichen nur so dahin. Es ist nun 8 Uhr und die Kinder haben weder ihre Hosen an, geschweige denn ihre Jacken und Schuhe. Auch ich werde nun ungeduldig. Yannick und ich sind beide deutlich genervt. Jeden Tag das gleiche Szenario. Fast jeden Morgen hetzen wir morgens zu viert durchs Haus, um rechtzeitig fertig zu werden und schaffen es dann meistens doch nicht. Stolpern dabei über zwei Kinder, die im Flur sitzen, noch im Schlafanzug stecken, keine Zähne putzen wollen und sich dabei im besten Falle noch um ihre Autos streiten. Das Gekreische darum setzt dem ganzen dann die Krone auf. Fast jeden Morgen verabschieden Yannick und ich uns nur flüchtig, der Kuss nur aufgehuscht. Gereizt und gestresst, unter Druck gesetzt von der Zeit. Zwei Kinder, die trödeln, sich nicht selbst anziehen und im Grunde aber ja auch nichts dafür können, dass wir Großen es so eilig haben. Sie lassen sich nicht beirren, sie haben noch kein Zeitgefühl und ihnen sollten wir es am wenigsten übel nehmen, wenn wir uns mal wieder verspäten.

An diesem Morgen sind die Kinder wieder nicht pünktlich um 8 Uhr im Kindergarten. Es sind wieder einige Minuten, die Yannick fehlen werden, wenn er zur Arbeit kommt. Noch mehr, als er unterwegs auf der Strecke auf die voll gesperrte Straße trifft und einen Umweg fahren muss. Es ist kurz vor 9 Uhr, als er es dann endlich geschafft hat und er in seinem Büro ankommt. Einige Zeit später werde ich erst erfahren, dass auf dieser Strecke an diesem Morgen ein 64-jähriger Mann ums Leben kam. Um viertel nach acht. Zu der Zeit, in der Yannick, wenn es morgens so laufen würde, wie wir uns das vorstellen, an dieser Stelle vorbei gefahren wäre, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein. Ein Sattelschlepper, der die Kontrolle verliert und in die Gegenfahrbahn gerät, die auch Yannick jeden Morgen passiert. Für den Kleinlastwagenfahrer, der dem LKW entgegen fährt und nicht mehr ausweichen kann, war das der letzte Morgen, an dem er sich vielleicht gehetzt, vielleicht aber auch ganz in Ruhe von seinen Lieben verabschiedet hat. Er hatte keine Chance. Und auch die anderen beiden Autofahrer, die nach ihm kommen, können nicht mehr bremsen und werden schwer verletzt. Vielleicht sind es ebenfalls Familienväter, vielleicht mussten sie sich heute Morgen auch beeilen, um rechtzeitig das Haus zu verlassen, vielleicht waren sie auch gestresst und genervt, weil ihre Kinder so getrödelt haben. Und vielleicht haben sie ihrer Frau auch nur flüchtig einen Abschiedskuss gegeben, weil doch keine Zeit mehr übrig war, um sich kurz zu besinnen.

Ich denke an diesem Tag lange über dieses Unglück nach und es beschäftigt mich sehr. Und ich stelle mir immer wieder die Frage: Ist es das wert? Mir wurde heute einmal mehr bewusst, wie schnell es vorbei sein kann. Von einer Minute auf die nächste und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Ich bin gleichzeitig bestürzt und im Nachhinein nun sogar dankbar dafür, dass heute wieder einer dieser Tage war, an denen Taavi und ich etwas länger im Bett gelegen sind und gekuschelt haben, die Jungs mal wieder trödelten und nicht pünktlich das Haus verlassen konnten. Denn was wäre passiert, wenn Yannick sie heute tatsächlich um 8 Uhr im Kindergarten abgeliefert hätte und nur eine viertel Stunde später an dieser Stelle vorbei gekommen wäre?

Was nutzt es uns, gestresst und genervt durch’s Leben zu hetzen? Schon schlecht gelaunt in den Tag zu starten, weil wir vielleicht morgens  ein paar Minuten länger brauchen, um wach zu werden und in die Gänge zu kommen. Ist es das wert, dass wir uns und unsere Lieben deswegen stressen, anmotzen, wütend werden, vielleicht sogar laut und uns am Ende nicht einmal richtig verabschiedet haben? Sind es diese wenigen Minuten wert, im schlimmsten Fall für immer zu bereuen, dass wir sie nicht richtig in den Arm genommen haben und ihnen nur flüchtig Tschüss gesagt haben? Anstatt sie feste zu drücken und ihnen zu sagen, wie sehr wir sie lieben und wie schön es ist, dass es sie gibt? Egal, wie stressig es auch sein mag, egal, wie sehr die Kinder morgens mal wieder trödeln, egal, wie genervt wir auch sein mögen und egal, ob wir kurz laut geworden sind, damit sie sich etwas mehr beeilen – die Zeit dafür sollten wir uns immer nehmen.

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1 Comment

  • Reply Ceebee 17. Januar 2019 at 4:59

    Guten Morgen,
    ein Alltag mit mehreren Kindern ist eine Herausforderung, aber was mir immer geholfen hat ist: die Klamotten für den nächsten Tag abends rauszulegen, Taschen auch da packen, damit am Morgen nur noch Vesper und Trinken rein wandern müssen, den Frühstückstisch ebenfalls decken UND uns Erwachsenen den Wecker 30 Minuten früher stellen UND dann auch aufzustehen!
    Nichts ist nerviger, als wenn die Erwachsenen morgens in verständliche Hektik (Arbeitszeitbeginn, Bus- oder Straßenbahnabfahrtszeiten etc. im Nacken) verfallen, denn das überträgt sich auf die Kids, die dann nicht mehr kooperieren, weil die mit diesem Stress am Morgen schlichtweg überfordert sind und dann eine banale Strumpfhose zum „Problem“ wird. Probiert es doch mal so. Es entzerrt den Morgen ungemein und alle starten entspannter in den Tag.
    Grüße Ceebee

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